Umgang mit behinderten Patienten in der Zahnarztpraxis

Die zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung ist leider oft unzureichend, für die Zahnarztpraxen aber auch entsprechend anspruchsvoll. Was die besonderen Herausforderungen sind und wie man ihnen als Zahnarzt begegnet, lesen Sie in diesem Beitrag zu Kommunikation und Umgang bei Patienten mit Beeinträchtigung.

Eine Herausforderung für den Zahnarzt: die Behindertenbehandlung

Die Zahn- und Mundgesundheit von Menschen mit Beeinträchtigung bedarf besonderer Aufmerksamkeit, dafür spricht auch die aktuelle Datenlage. Vor allem Karies und Zahnfleischerkrankungen sind in dieser Bevölkerungsgruppe weit verbreitet – je nach Schwere der Behinderung ist eben auch die Fähigkeit zur Mundhygiene eingeschränkt.

Außerdem können gestörte Essgewohnheiten und Kaubeschwerden dazu führen, dass die Nahrung länger im Mund verweilt. Manche Arzeinmittel, etwa solche, die bei Epilepsie verabreicht werden, fördern Zahnfleischprobleme. Gehörlose meiden Zahnarztbesuche, weil sie sich nicht verständigen können, und haben daher besonders hohe Vorsorgedefizite mit hohem Zahnverlust. Bei Menschen mit Downsyndrom ist das Immunsystem und damit die Abwehr gegen parodontale Erkrankungen geschwächt.

Wichtig: Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert „eine Gesundheitsversorgung von derselben Qualität und auf demselben Standard wie für andere Menschen“ und „Gesundheitsleistungen, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden“.

Doch der Umgang mit behinderten Patienten ist auch eine besondere Herausforderung, der sich nicht jede Zahnarztpraxis gewachsen fühlt. Schon räumlich bestehen im wahrsten Sinne des Wortes oft Hürden: Körperbehinderte sind häufig auf einen barrierefreien Zugang angewiesen. Die Behandlung von Patienten mit Beeinträchtigung erfordert zudem einen höheren Zeit- und Personalaufwand, und das in kleineren Behandlungsintervallen. Häufig ist eine medikamentöse Vorbehandlung erforderlich, in 40 von 100 Fällen eine Behandlung in Allgemeinanästhesie und Sedation.

Auch verlangt der Umgang mit behinderten, vor allem geistig beeinträchtigten und damit oftmals auch besonders ängstlichen Patienten, besonders viel Einfühlungsvermögen. Schließlich ist in dieser schwierigen Situation eine Behandlung erst möglich, wenn sich der Behandelte in einer geschützten Umgebung fühlt.

Wie verhält sich der Zahnarzt behindertengerecht?

Achten Sie darauf, beim Erstkontakt in einem zusätzlichen Anamnesebogen Informationen zu Art und Umfang der Behinderung und Betreuung (stationär, häuslich) abzufragen. Sie sollten z.B. wissen, wer Ihr Ansprechpartner für Rückfragen ist: Angehörige oder gesetzlicher Betreuer?

Um einschätzen zu können, wie Sie im konkreten Fall mit einem behinderten Menschen bei der Behandlung umgehen, sollten Sie sich zunächst einen Eindruck von der Kooperationsbereitschaft verschaffen und diese dokumentieren. Das gelingt am besten während der Erstuntersuchung. So können Sie auch notwendige Behandlungszeiten besser einplanen, denn mangelnde Kooperationsbereitschaft verlangt längere Zuwendung.

Bleiben Sie stets freundlich und geduldig. So tragen Sie mit dazu bei, dass der behinderte Patient sich wohlfühlt. Gerade Menschen mit geistiger Retardierung erleben besonders emotional. Das bedeutet im Umgang mit ihnen, dass sachliche Argumente hinter Stimme, Mimik und Körpersprache zurücktreten. Begegnen Sie ihnen trotzdem auf Augenhöhe. Das heißt zu allererst, dass Sie Ihren Patienten ansprechen sollten, nicht den Betreuer oder die Begleitperson.

Patienten im Rollstuhl lassen sich meist in den Behandlungsstuhl umlagern. Falls beim Umgang mit behinderten Patienten keine Begleitperson dabei ist, sollte das Praxispersonal unterstützen. Mit Gehörlosen werden Sie als Zahnarzt vermutlich nur in schriftlicher Form kommunizieren können, wenn in Ihrer Praxis niemand die Gebärdensprache beherrscht.

Was der Zahnarzt für behinderte Menschen bei der Behandlung tun kann

Bei Menschen mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen, die keine Mundhygiene betreiben können, sollten Sie besonderen Wert auf präventive Maßnahmen legen.  Hier ist der regelmäßige Prophylaxetermine mit Kontrolle und Zahn- bzw. Prothesenreinigung und lokaler Fluoridierung besonders wichtig.

Patienten mit kognitiver Behinderung, die besonders ängstlich sind, oder bei solchen mit geringer Kooperationsbereitschaft kann eine Narkose Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung sein. Bevor Sie diesen Schritt im Umgang mit einem behinderten Patienten einleiten, sollten Sie jedoch mindestens einen vergeblichen Behandlungsversuch dokumentiert haben – der bloße Wunsch von Betreuern oder Angehörigen nach einer Betäubung genügt nicht, um diesen Eingriff zu rechtfertigen. Und eine peri- und postoperative Betreuung muss gewährleistet sein!

Motorische Unruhe wie etwa ruckartige Kopfbewegungen und Eingreifen mit den Händen gefährdet jede zahnärztliche Behandlung. Deshalb bewährt sich bei Menschen mit Beeinträchtigung eine zweite Assistenz. Verzichten Sie außerdem wegen des Nachlaufs auf den Einsatz einer Turbine und sichern Sie Kleinteile wie Brücken zur Anprobe, Watterollen oder Wurzelkanalinstrumente mit Zahnseide. Plastikkappen von Speichelziehern sollten Sie vor dem Einsatz abziehen, damit sie nicht verschluckt werden können.

Erwägen Sie die Art des eingesetzten Zahnersatzes sorgfältig. Grundsätzlich darf er sich nicht vom medizinischen Standard unterscheiden, andererseits müssen Sie spezielle Gegebenheiten berücksichtigen. Möglicherweise sind nicht alle Materialien gleich gut geeignet, um beispielsweise den besonderen Belastungen bei Epilepsie oder autoaggresivem Verhalten standzuhalten. Auch kann die Gewöhnung an herausnehmbaren Zahnersatz beim Umgang mit behinderten Patienten Probleme bereiten. Besprechen Sie dies mit den Angehörigen oder dem Betreuungspersonal.

Wie man sich als Zahnarzt gegenüber den Betreuenden von Menschen mit Behinderung verhält

Stets müssen vor zahnmedizinischen Eingriffen in erster Linie der Patient, aber auch Betreuer oder Angehörige über Risiken und Chancen aufgeklärt werden und ihre Einwilligung erteilen. Bedenken Sie jedoch, dass häufig nicht der gesetzliche Betreuer, der oftmals, aber nicht immer, ein Angehöriger ist, den Patienten mit Behinderung zum Zahnarzt bringt, sondern ein Mitarbeiter einer Behinderteneinrichtung. Diese Begleitperson ist allerdings nicht berechtigt, die Zustimmung zu einer Behandlung zu geben. Lassen Sie sich also vor einem Eingriff stets eine Betreuungsvollmacht vorlegen.

Mit Betreuenden und Angehörigen sollten Sie sich stets auf Augenhöhe zur optimalen Versorgung des Patienten mit Beeinträchtigung abstimmen. Einerseits kennen diese den Patienten und seine Bedürfnisse meist besser als Sie, andererseits achten sie mit besonderem Feingefühl darauf, ob Sie Ihrem Patienten mit Einfühlungsvermögen und Erfahrung in dieser besonderen Situation begegnen.

Zeigen Sie sich also bereits in der Wortwahl behutsam und kompetent. Dazu gehört, dass Sie von „Bewohnern“ reden statt von „Heiminsassen“ und von „Menschen mit Beeinträchtigung“ oder „Behinderung“ statt von „Behinderten“.